Berlin. Wirklich still ist es in einem Hörsaal nie. Bänke quietschen, Blätter rascheln, Kommilitonen tuscheln. Viele Studenten mit Hörschädigung haben nach einem Tag an der Uni vor lauter Konzentration und Hörstress keine Energie mehr für etwas anderes. Nicht so Katrin Wälder. die Psychologie-Studentin macht gerade ihren Master an der Freien Universität Berlin. Sie nutzt in Vorlesungen eine FM-Anlage und wird in Seminaren von Schriftdolmetschern begleitet, die alles, was Dozent und Kommilitonen sagen - auch Anekdoten oder Witze - in Schrift umsetzen.
"Ich kann dem Inhalt deutlich entspannter und von Anfang bis Ende folgen", sagt sie. Auch gelänge es ihr immer häufiger, selbst etwas zu Diskussionen beizutragen. Besonders in Seminaren, wo ein ständiger Sprecherwechsel stattfindet, ist sie zuvor immer an ihre Grenzen gestoßen.
Die Aufgabe der Schriftdolmetscher ist es, gesprochenen Text sehr schnell in Schriftsprache umzusetzen. Das geschieht mit Hilfe von flinken Fingern, aber auch unterstützt durch Computerstenografie oder Spracherkennung. Den Text kann die Studentin dann fast simultan an einem Rechner mitlesen.
Bewusstsein an Hochschulen wächst
Vielen Universitäten ist die Inklusion mittlerweile ein wichtiges Anliegen. So bietet zum Beispiel die Hochschule Trier Beratungen zum Studium mit Hörschädigung an und arbeitet eng mit der vor Ort ansässigen Schriftdolmetscher-Vermittlungsstelle Kombia zusammen, "Wenn Studierende die Hilfe eines Schriftdolmetschers in Anspruch nehmen wollen, sollten sie möglichst früh Kontakt mit uns aufnehmen", sagt Professor Doktor Helge Rieder, Beauftragter für die Belange Studierender mit Behinderung an der Hochschule Trier. Die Kosten werden in den meisten Fällen übernommen, unter anderem von den Sozialämtern. Der Antragsweg kann beim Erstantrag drei bis sechs Monate dauern.
Für Katrin Wälder wurde der Leidensdruck durch die ständigen Benachteiligungen am Ende so groß, dass es sie kaum Überwindung kostete, die Dolmetscher mit zu ihren Seminaren zu nehmen. "Am Anfang war es sicherlich komisch, Schriftdolmetscher an meiner Seite zu haben", sagt sie. Aber durch die souveräne Vorstellung der Schriftdolmetscher zu Beginn eines Seminars habe sich das Unbehagen sehr schnell gelegt. Negative Rückmeldungen von Dozenten oder Mitstudenten gab es keine: "Einige der Professoren und vor allem viele Kommilitonen waren neugierig und fragten direkt nach, wie die Dolmetsch-Systeme funktionieren."
Einmal bat eine Schriftdolemtscherin eine Seminarteilnehmerin, langsamer zu sprechen. Am Ende des Seminars erfuhr Katrin Wälder dann von einigen Kommilitonen, dass diese selbst dankbar waren, dass die Studentin in ihrem Sprachtempo gebremst worden war, da auch die anderen ihren Argumenten nicht mehr folgen konnten.
Vorlesungen, Seminare, Prüfungen
Wichtig ist für die Dolmetscher, dass sie die Lehrmaterialien früh genug erhalten, um sich in das Thema der Seminarsitzung einzuarbeiten und Fremdwörter und Fachbegriffe in das Dolmetsch-System eingeben zu können. Auf Wunsch erstellen sie nach Ende der Sitzung eine korrigierte Mitschrift. So können sich die Studenten ganz auf den verschriftlichten Text konzentrieren und müssen nicht auch noch mitschreiben.
Für Vorlesungen und andere Veranstaltungen mit nur einem Sprecher können auch Schriftdolmetscher über das Internet zugeschaltet werden. Hierbei kümmert sich der Student selbst um die Technik und muss dafür sorgen, dass das Sprecher-Mikrofon richtig installiert ist und weitergereicht wird. "Prinzipiell ist es auch möglich, Lehrveranstaltungen per Internetvideo an einen entferneten Schriftdolmetscher zu übertragen", sagt Helge Rieder. Insbesondere bei Seminaren sei es jedoch wesentlich einfacher, wenn der Dolmetscher im Raum anwesend ist. "Überall wo eine Diskussion stattfindet und schwierige Kommunikationssituationen antstehen, ist es in jedem Fall besser, ihn vor Ort dabei zu haben", bestätigt Birgit Nofftz von Kombia.
Auch bei mündlichen Prüfungen können Schriftdolmetscher eingesetzt werden, so dass die Studenten im freien Gepräch ihr Wissen unter Beweis stellen können, ohne Angst haben zu müssen, dass sie die Frage falsch verstanden haben. Hier ist es besonders wichtig, dass die Schriftdolmetscher gut auf das Prüfungsthema vorbereitet sind. Der Prüfer kann auf dem Bildschirm mitverfolgen, was dort zu lesen ist, damit erst keine Bedenken aufkommen, dass die Dolmetscher bei den Antworten helfen könnten.